Rückblick: Trans* und queere Zeitgeschichte im Gespräch
Seminarsitzung mit Kai* Brust, Nora Eckert und Andrea Rottmann am 17. Januar 2025
Am 17. Januar 2025 fand im Rahmen unserer Seminarreihe zur Trans* Geschichte eine besondere Veranstaltung statt: In einer intensiven Nachmittagssitzung kamen wir mit drei herausragenden Persönlichkeiten ins Gespräch, die auf sehr unterschiedliche Weise zur Sichtbarmachung, Erforschung und Vermittlung trans* und queerer Geschichte beitragen. Eingeladen waren Kai* Brust, Nora Eckert und Andrea Rottmann, die jeweils aus ihrer Arbeit berichteten und sich den Fragen der Teilnehmenden stellten.
Die Veranstaltung bot einen seltenen, multiperspektivischen Einblick in ein junges Feld, das sich erst seit einigen Jahren langsam institutionell verankert. Gleichzeitig wurde deutlich, wie eng wissenschaftliche und aktivistische Arbeit in diesem Bereich oft miteinander verbunden sind.
Drei Biografien, drei Perspektiven – ein gemeinsames Anliegen
Den Auftakt machte Nora Eckert, trans* Aktivistin und Autorin, deren Weg zurück in die Community eng mit der Entscheidung verbunden war, sich als Zeitzeugin und Autorin in die Debatte um trans* Geschichte einzubringen. Sie erzählte von der Leerstelle, die sie in der kollektiven Erinnerungskultur ausmachte – und vom dringenden Wunsch, dieser Leerstelle historische Konturen zu geben. „Wir haben eine Vergangenheit, aber keine Geschichte“, so Eckert – ein Satz, der als Leitmotiv durch ihre Arbeit zieht. Ihr Fokus liegt auf den Entwicklungen seit 1945 in beiden deutschen Staaten und der Frage, wie sich Aktivismus und Selbstorganisation in Ost und West unterschieden, aber auch verbanden. Besonders betonte sie die Bedeutung der Vermittlung an eine breitere Öffentlichkeit und die Verantwortung, mit historischen Narrativen empowernd und aufklärend zugleich zu arbeiten.
Ein zentrales Motiv in Nora Eckerts Beitrag war die Frage, wie kollektive Identität durch das Erzählen von Geschichte entsteht. Der Wunsch, historische Lücken zu füllen, entspringt dabei nicht nur einem wissenschaftlichen Interesse, sondern dem tiefen Bedürfnis nach Zugehörigkeit: Eine gemeinsam erinnerte Geschichte stärkt die Selbstwahrnehmung von Communitys – und macht sie zugleich nach außen sichtbar. Gerade die Jahre nach 1945 in Ost und West bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte, um trans* Aktivismus und Lebenserfahrungen in eine breitere historische Erzählung einzubetten.
Kai* Brust, freiberuflich tätiger Historikerin, gab im Anschluss Einblick in die Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft, Projektarbeit und Bildungsarbeit. Kai* forscht zur Geschichte geschlechtlich nonkonformer Lebensweisen in der Weimarer Republik und während des Nationalsozialismus. Die Recherchearbeit in Archiven – wie dem Landesarchiv Berlin – ist dabei zentral, ebenso wie die Auseinandersetzung mit historischen Begriffen und Quellenlagen. In der Diskussion wurde deutlich, wie viel Eigeninitiative, methodisches Feingefühl und politische Haltung notwendig sind, um diese oft unsichtbar gemachten Lebensrealitäten sichtbar zu machen. Kai* betonte auch die Schwierigkeit, das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Präzision und öffentlicher Verständlichkeit zu navigieren – und die damit verbundenen Anforderungen in der Arbeit mit Medien, Museen und Bildungsinstitutionen.
Andrea Rottmann, Historikerin an der Freien Universität Berlin, brachte schließlich die Perspektive der institutionellen Forschung ein. In ihrer Dissertation beschäftigte sie sich mit queeren Räumen in Berlin – und verknüpft darin schwule, lesbische und trans* Geschichte zu einem gemeinsamen erzählerischen Raum. Andrea reflektierte über die strukturellen Herausforderungen, die queere Geschichtsschreibung in Deutschland auch heute noch begleiten: etwa das Fehlen fester Professuren, mangelnde institutionelle Förderung oder die Marginalisierung innerhalb der Geschlechtergeschichte. Gleichzeitig berichtete sie von wachsender internationaler Vernetzung und von ihrem Anspruch, wissenschaftliche Arbeiten so zu verfassen, dass sie auch über die Fachcommunity hinaus verständlich und ansprechend bleiben.
Vermittlungsarbeit zwischen Community und Gesellschaft
Ein zentrales Thema, das sich durch alle drei Beiträge zog, war die Frage nach der Rolle von Öffentlichkeit. Alle drei Referent:innen betonten, dass ihre Arbeit nie ausschließlich innerhalb der Community bleibt – sondern immer auch eine vermittelnde, aufklärende und gesellschaftspolitische Komponente hat. Dabei ging es sowohl um die Frage, wie mit Medien und Öffentlichkeit umgegangen werden kann, als auch um die Herausforderung, wissenschaftliche Erkenntnisse so aufzubereiten, dass sie für ein breiteres Publikum verständlich und zugänglich sind.
Immer wieder wurde deutlich, dass trans* Geschichte nicht neutral, sondern politisch ist. Andrea Rottmann stellte klar: Auch ohne aktivistischen Hintergrund sei die eigene Arbeit politisch – „solange nicht alle Menschen so leben können wie sie wollen, bleibt es politisch.“ Die Frage nach Repräsentation, nach Deutungshoheit und nach Sprachsensibilität wurde dabei ebenso diskutiert wie die Rolle von Emotion, Identifikation und Empowerment in der Geschichtsschreibung. Auch der Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen individueller Erfahrung und struktureller Analyse war Thema: Wie lässt sich Persönliches erzählen, ohne es zu vereinfachen? Wie kann Geschichte erzählt werden, die sowohl den historischen Kontext ernst nimmt als auch heutige Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Sichtbarkeit aufgreift?
Immer wieder kam auch die Frage auf, wie sich die Balance halten lässt zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und öffentlicher Verständlichkeit. Kai* Brust beschrieb die Herausforderung, historischen Anspruch und politische Aussage in Einklang zu bringen – und den eigenen Perfektionsanspruch mit der Zeit zu relativieren: „Es wird entspannter – nicht alles muss 100 % historisch-perfekt sein – die Massage muss stimmen.“ Zudem betonte Andrea Rottmann die begrenzten Ressourcen, die an Hochschulen für Wissenschaftskommunikation zur Verfügung stehen. Nora Eckert wiederum berichtete vom Wunsch, mit eigenen Publikationen bewusst in die Öffentlichkeit zu gehen – dabei aber stets sensibel mit Sprache und Repräsentation umzugehen. Deutlich wurde: Die Vermittlung ist kein Nebenschauplatz, sondern zentraler Bestandteil der historischen Arbeit.
Recherchestrategien und Archivrecherche
Im weiteren Verlauf der Sitzung ging es auch um die konkreten Bedingungen queerer und trans*geschichtlicher Forschung: die Suche nach Quellen, der Umgang mit Begrifflichkeiten in historischen Kontexten, und die Frage, wo und wie queere Geschichte in Archiven überhaupt auffindbar ist. Die Referent:innen berichteten von verschiedenen Erfahrungen – von der Arbeit in Landes- und Stadtarchiven bis hin zur Bedeutung von Community-Archiven wie dem Schwulen Museum oder dem FFBiz. Einigkeit bestand darin, dass viel Wissen und Material nach wie vor schwer zugänglich ist – sei es aufgrund fehlender Katalogisierung, lückenhafter Überlieferung oder fehlender wissenschaftlicher Anerkennung.
Hervorgehoben wurde außerdem die Relevanz neuer Leitfäden und Materialien zur queeren Archivrecherche, sowie der Wert digitaler Quellen – insbesondere zur jüngeren Geschichte. Gleichzeitig bleibt klassische Archivarbeit unverzichtbar, auch wenn sie oft mit Frustration verbunden ist, etwa wenn Akten vernichtet oder gar nicht erst überliefert wurden.
Deutlich wurde auch, wie voraussetzungsreich die Arbeit in Archiven ist. Neben klassischer Recherche erfordert sie ein tiefes Verständnis für historische Kontexte, zeitgenössische Begriffe und institutionelle Ordnungslogiken. Oft offenbaren Archive eher Spuren von Kriminalisierung als von Alltag oder Empowerment – etwa in Polizeiberichten oder Prozessakten, von denen viele nicht erhalten sind. Umso wichtiger sind alternative Quellenorte: Community-Archive wie das Schwule Museum, das FFBiz oder feministische Bewegungsarchive werden zu zentralen Anlaufstellen, um trans* und queere Geschichte jenseits staatlicher Ordnungssysteme zu rekonstruieren.
Auch das Publikum transgeschichtlicher Arbeit war Thema: Wer soll erreicht werden? Wer fühlt sich angesprochen? Die Beiträge machten deutlich, dass hier mit Mehrfachadressierungen gearbeitet wird – für trans, inter* und nicht-binäre Personen soll Geschichte empowernd wirken, für eine breitere Öffentlichkeit aufklärend und irritierend. Gleichzeitig richtet sich die Arbeit auch an die Geschichtswissenschaft selbst, in der Trans* Geschichte bisher kaum verankert ist. Es geht darum, neue Impulse zu setzen und das historische Denken zu erweitern – weg von hegemonialen Erzählungen, hin zu einer Geschichtsschreibung, die Vielfalt ernst nimmt. Wie Nora Eckert betonte: „Wir arbeiten ja nicht für die Schublade […] – es geht ja gerade um die Vermittlung.“
Reflexion, Dank und Ausblick
Die Veranstaltung hat eindrucksvoll gezeigt, wie vielfältig und lebendig trans* und queere Geschichtsforschung heute ist – und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Die Beiträge machten deutlich, dass es keine einheitliche „trans* Geschichte“ gibt, sondern viele Stimmen, Perspektiven und Erzählweisen. Gleichzeitig wurde aber auch ein gemeinsames Ziel sichtbar: Geschichte so zu erzählen, dass sie stärkt, verbindet und neue Räume des Denkens und Erinnerns öffnet.
Wir danken Kai*, Nora und Andrea für ihre Zeit, ihre Offenheit und ihr Vertrauen – und für eine Sitzung, die nicht nur inhaltlich, sondern auch atmosphärisch in Erinnerung bleiben wird. Mit vielen neuen Denkanstößen freuen wir uns auf die kommenden Veranstaltungen im Rahmen unserer Reihe.